Mit der neuen Weimarer Verfassung revolutionierte sich im Deutschen Reich nicht nur die Staatsform, sondern auch das Wahlgesetz. Damit verbunden war auch das Wahlrecht für Frauen, was in diesem Jahr besonders gefeiert wird.
Wir finden, das ist der passende Zeitpunkt für ein Interview mit Ute Stauer. Sie ist die Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in Bergisch Gladbach und Mitglied des Stadtrates.
100 Jahre Frauenwahlrecht – was verbindest Du mit dem Jubiläum?
Ich verbinde damit im Jahre 1918 einen Meilenstein auf dem langen Weg zur Gleichberechtigung. Dem war ein harter gesellschaftlicher Kampf von Frauenrechtlerinnen international vorausgegangen. Ein entbehrungsreicher Kampf für ein demokratisches Grundrecht, das der weiblichen Hälfte der Bevölkerung vorher verwehrt war. Diesen kämpferischen Frauen schulden wir dafür Dank, obgleich es politisch eine Selbstverständlichkeit für die junge Demokratie bedeutete.
Allerdings müssen wir heute aufpassen, dass die gesellschaftlichen Errungenschaften keine Rückschläge erleiden. Demokratie ist harte Arbeit, gerade Frauenrechte, die ja Menschenrechte sind, sind akut gefährdet.
Die aktuelle Debatte, die Jens Spahn angestoßen hat, der zufolge Kinderlose finanziell höher belastet werden sollen, wenn es um die Beiträge in die Rentenkasse geht, verrät ein Denken, das ins vergangene Jahrhundert gehört. Das ist diskriminierend und soll von eigenem politischem Versagen ablenken. Frauen werden damit an den Pranger gestellt.
Die SPD war damals maßgeblich daran beteiligt, warum hat es dann so lange gebraucht, bis die SPD eine Vorsitzende bekam?
Es scheint das Schicksal der immer noch stolzen Volkspartei SPD zu sein, einerseits die Initiatorin für politische und gesellschaftliche Reformen wie die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau zu sein, sich andererseits aber bei der praktischen Umsetzung beispielsweise auf Parteiebene im Wege zu stehen. Das gilt insbesondere für die Besetzung der politischen Spitzenfunktionen in der SPD.
Viele Sozialdemokratinnen haben den Eindruck, jetzt, da die Partei in der Krise steckt, die historische Herausforderung als Chance ergreifen zu müssen, um zu zeigen, was für ein Potential in ihnen steckt, die SPD wieder politisch attraktiv zu machen.
Wie ist die Lage vor Ort in Bergisch Gladbach? Werden Frauen aktiv in die politische Arbeit eingebunden?
Die SPD-Frauen in Bergisch Gladbach haben vielfältige Möglichkeiten, sich politisch einzubringen, Diskussionen zu entfachen, Anträge zu formulieren, Veranstaltungen zu initiieren und zu gestalten.
Organisatorisch Familie, Beruf und gegebenenfalls ein Mandat unter einen Hut zu bringen, ist jedoch ein Spagat. Nach der Sitzung noch in der Kneipe zu netzwerken oder gar Seilschaften zu pflegen, wie es viele Männer können, können Frauen sich eher selten leisten.
Der Kampf um aussichtsreiche Listenplätze, Kandidaturen für Bundestag und Landtag wird dann immer wieder neu den Lackmustest darstellen, wie es um den Anspruch auf Parität in der SPD Bergisch Gladbach und die praktische Umsetzung steht. Dazu gehört auch, dass der bzw. die politisch Unterlegene die Abstimmung in Würde trägt und sich anschließend wieder sachlich und fair für das Gemeinwohl einsetzt.
Die SPD soll, laut landläufiger Meinung ‚jünger und weiblicher‘. Wie sieht die aktuelle Entwicklung aus?
Grundsätzlich stimme ich dem zu, denn viele Herausforderungen müssen jetzt grundlegend angegangen werden, die die Jugend von heute betreffen.
Daher muss sie in politische Beratungs- und Entscheidungsprozesse stärker eingebunden werden. Das betrifft z.B. die Zukunft des staatlichen Rentenversicherungssystems, das unbedingt gestärkt werden muss, da der Aktienmarkt für die private Altersvorsorge zu krisenanfällig ist. Abgesehen davon ist private Altersvorsorge für prekär Beschäftigte unmöglich und gerade auch die Altersarmut von Frauen zementiert. Ebenso ein Thema für die Jugend: Digitalisierung.
Allerdings sollten auch Frauen fortgeschrittenen Alters, die vorher wenig Zeit und Gelegenheit für politisches Engagement hatten, die Möglichkeit erhalten, sich um Kandidaturen in den Parlamenten erfolgreich zu bewerben. Diese Frauen sind nah am Alltag vieler Menschen, verfügen über viel Lebenserfahrung, die sie in die parlamentarische Arbeit gemeinsam mit den jüngeren einbringen können. Vor allem sind sie in der Regel
frei von Eitelkeiten und lösungsorientiert.
Werden wir zum 200. Jubiläum die komplette Gleichstellung von Mann und Frau erleben?
Ich hoffe für die folgenden Generationen, dass sie die Gelegenheit erhalten werden, das
200. Jubiläum des Frauenwahlrechts zu begehen, gern auch als gesetzlichen Feiertag. Wen
n allerdings größenwahnsinnige Männer weiterhin die Weltpolitik bestimmen und Kriege vom Zaun brechen, ist es um den dauerhaften Frieden schlecht bestellt.